VON HEXEN UND ZÄUNEN

Die frühen Völker lebten in einer besonderen Gesellschaft. In einer vorgeschichtlichen Siedlung bildeten den innersten Kern Frauen, Alte und Kinder. Als Schutz umgab diese Gemeinschaft eine dichte Hecke, wie ein lebender Zaun. Draußen, vor dem Zaun, lebten die Männer. Ein altes Wort für eine solche Zaunhecke lautet „Hag“, heute noch zu finden als Straßenbezeichnung. Alles innerhalb des Hags war sicher, geschützt, also behaglich. Auch das Wort „hegen“ stammt daher. Nun, das Leben vor dem Zaun war demnach unsicher, ungeschützt – unbehaglich, der wilden Natur ausgeliefert. Diese Hecke bestand aus Weißdorn (altengl. hag-thorn), ein anderer Name dafür ist Wildrose, Hagedorn oder Hagebutte – die gleiche Hecke, die Dornröschens Schloss umrankt. Innerhalb eines geschützten Hags schläft man natürlich gut, weil sicher, weshalb die Hagebutte als Symbol für gute Nachtruhe später noch vor Häuser gepflanzt wurde. Dornröschen schläft behaglich ihrer Reifung entgegen, umgeben und behütet im Schoße von Mutter Natur. 

Als Wächterin auf dem Hag, der Zaunhecke, stellte man sich eine Heckenfrau vor, als Schwellenhüterin sozusagen, zwischen dem Bereich innen, der den Menschen zugehörte, und dem Bereich außerhalb, wo die Wildnis begann. Diese Hüterin hat den alten Namen „Hag-Idise“ inne, wörtlich Zaun-Schutzgeist. Der Name verschliff zu Hagzuse und schließlich zu Hexe (engl. "hag"). Oft wird sie auch Zaun-Reiterin genannt, mit einem Bein in dieser Welt, mit dem anderen in der Anderswelt. 

Die in späteren Jahrhunderten zu Unrecht bedrohlich gewordene Hexe ist also nichts anderes als eine Zaun-Frau, die über das Wohlbehagen und den Schlaf der Menschen wacht.

©Roman Söllner

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